EBERHARD FREUDENREICH


IN CORPORE
DAUER DER AUSSTELLUNG 21. März. - 8. Mai 1999

1963 in Bad Urach geboren
1986 - 1991 Studium der Freien Graphik an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Groß und Prof. Schoofs
1990 - 1993 Aufbaustudium im Bereich Freie Graphik bei Prof. Schoofs
1989 - 1992 Tutorenstelle bei Prof. Schoofs
seit 1993 Freischaffender Künstler
1999 Stipendiat der Kunststiftung Baden-Württemberg
Eberhard Freudenreich lebt und arbeitet in Stuttgart


V.B.: Sie bezeichnen die vorliegenden Arbeiten als autonome Zeichnungen, autonome Computerzeichnungen. Zunächst muß der Begriff Zeichnung geklärt werden. Kann von Zeichnung geredet werden, wenn Sie z.B. an die Definition von Walter Koschatzki denken? Für ihn ist das Mittel Bleistift auf Papier, die Methode Linie auf Fläche, die Arbeitsweise des Künstlers eine spontane Formulierung von Gesehenem oder Gedachtem, das Arbeitsergebnis formal offen, fragmentarisch, durch individuellen Duktus charakterisiert, ein unkorrigierter Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers.
E.F.: Mit dem PC wird die Verbindung Papier-Stift durch Bildschirm-Maus ersetzt. Der Drucker entspricht dem Graphit. Er setzt das immaterielle Elektronenbild in Materie um. Spontaneität und Offenheit sind dadurch nicht eingeschränkt. Für mich ist es die Visualisierung meiner Ideen und ihrer Strukturen. Dabei spielt das Trägermaterial eine untergeordnete Rolle. Der Ideenkomplex, der als Fundament darunter liegt, ist als Ausdruck künstlerischen Schaffens unabhängig von dem Material, in dem er verbildlicht wird. Das Individuelle ist nicht mehr der Duktus, sondern die Formensprache, die sich wiederum aus dem visuellen Denkprozess ergibt. Über das visuelle Denken wird ein Arbeitsprozess in Gang gesetzt, an dessen Ende das Bild als Produkt steht. Es wird autonom. Das bedeutet, daß ich als Schaffender wieder zum Betrachter werde, der diese Arbeit reflektiert und mit ihr kommuniziert. Der Künstler, als Träger von Ideen, tritt über die Arbeit in einen Diskurs mit dem Betrachter. Es kann dabei nicht darum gehen, fertige Ergebnisse zu formulieren, sondern einen Standpunkt so mitzuteilen, daß der Betrachter, wenn er sich auf die Arbeit einläßt, Grundmuster und Strukturen meiner Sichtweise und Überlegung erkennt, die ihn zu eigenen Gedanken und Erkenntnissen bringt. Insofern sind meine Arbeiten offen und suchen die Kommunikation mit dem Betrachter. Das Medium, sei es Stift, Computer, Ölfarbe usw. ist, wie gesagt, sekundär. Wichtig ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß sich neue Gedanken bilden. Der bildende Künstler vermittelt sich und und seine Informationen eben über die Visualisierung und nicht, wie der Literat, über die Verbalisierung.
V.B.: Die Frage, ob es sich bei den Computerarbeiten um Zeichnungen oder Unikat-Drucke handelt, muß also gar-nicht entschieden werden.
E.F.: Gattungsbegriffe spielen doch letztlich keine Rolle, sie sind nur Ordnungssysteme. Ein Künstler als Träger von Ideen denkt und arbeitet zweckfrei, die Resultate sind Denkprodukte, in einem speziellen Medium wahrnehmbar gemacht.
V.B.: Sie selbst kommen ja von der Graphik her. Wie würden sie die Inhalte ihrer momentanen Arbeit beschreiben?
E.F.: Ich bin sicher, daß es individuelle Dispositionen für die Graphik gibt, wobei mein besonderes Interesse der Form gilt. Mein Thema ist die Frage der Wertigkeiten. Ausgehend von der Gleichwertigkeit der Formen ergibt sich ein Figur-Grund-Problem. Die Wertigkeit des Grundes ist genauso hoch wie die der Figur, wodurch der Grund gleichzeitig zur Figur und die erstdefinierte Figur zum Grund wird. Schwarz und Weiß steht in reziproker Beziehung. Der Betrachter muß sich momentgebunden für eine Sichtweise entscheiden. Er muß Wertigkeiten (Schwarz oder Weiß) festlegen. Nicht das Formmaterial sondern seine Bewertung ist maßgeblich für die momentane Kommunikation. Deshalb ist mir auch das Prinzip der Serie wichtig. Form bildet Form. In der Serie wird ein bestimmter Formenschatz durchgespielt. Substanziell ist das Material immer gleich. Eine Einzelarbeit in der Serie präsentiert also die gleiche Aussage wie eine andere. Aus der Serie herausgenommen trägt sie aber ein individuelles Moment in sich. Für die Arbeit bedeutet dies, daß es keine von mir fixierte Aussage gibt. Richtig ist nur das, was der Betrachter sieht. Und er sieht unter verschiedenen Konditionen verschiedenes. Betrachten hat auch etwas mit Wollen zu tun, deshalb ergibt sich eine Mehrschichtigkeit der Arbeit. Es ist aber nicht das Bild das sich verändert, sondern die Konditionen des Betrachters, der die eigene erinnerte Erfahrung mit einbringt. Ateliergespräch am 16.2.1999, geführt zur Vorbereitung der Ausstellung "In corpore", Tübingen 27.3.-8.5.1999




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