Einführung Galerie am Pfleghof 22. September 2002
Mechthild Ehmann - Helmut Stromsky

Alexander Klee, Tübingen

Eine Galerie mit zwei getrennten Räumlichkeiten bedeutet geradezu eine Herausforderung, zwei höchst unterschiedliche künstlerische Positionen zu kontrastieren. Diese Möglichkeit nutzt die Galeristin Frau Veronica Burger, um mit dem ihr eigenen Engagement zwei ganz unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten vorzustellen. Sie hat sich hierzu die Bildhauerin Mechthild Ehmann und den Plastiker Helmut Stromsky ausgewählt. Verwendet Mechthild Ehmann alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um sich sinnlich dem Stein zu nähern und seine Form zu finden, beschränkt Helmut Stromsky seine Mittel, um sich über die Form dem Material und seinen Möglichkeiten zu nähern.
Dieser stark verkürzte Vergleich bedarf einer genaueren Erläuterung und daran anschließend, einer praktischen Betrachtung der beiden künstlerischen Positionen. Ich hoffe im folgenden nun, den ersten Schritt der Erläuterung mit ihnen gemeinsam zu machen und fordere sie auf, diese Thesen dann selbst am Objekt im einem zweiten Schritt zu überprüfen.
Als Bildhauerin hat sich Mechthild Ehmann einem Zweig der Kunst zugewandt, der aufgrund seiner Arbeitsweise wohl als einer der langwierigsten künstlerischen Entstehungsprozesse gelten kann. Beharrlich ringt sie dem Stein und seiner eigenen Gesetzlichkeit eine Form ab, die jedoch immer auf die ursprüngliche Beschaffenheit Rücksicht nehmen muß. So besitzt jeder Stein einen eigenen Charakter, eine eigene Individualität.
Trotzdem sind dem Bildhauer heute Möglichkeiten gegeben, den Stein zu formen, ihm künstlerisch neue sinnliche Qualität zu verschaffen, die besonders in der Bearbeitung der Oberfläche liegt. In vielen der hier ausgestellten Arbeiten bricht sie beispielsweise mit den Kanten die Oberflächenkontinuität. Zwischen den Kanten verspannt, wirken die Flächen des Steines wie einer Torsion ausgesetzt. Eigentlich eine dem spröden Material mit seiner Härte, und Schwere entgegengesetzte Eigenschaft.
Die Steine erscheinen hierdurch energetisch aufgeladen, aufzustreben und beinahe zu bersten. Die Arbeit mit Polaritäten ist für Ehmann kennzeichnend. Dem entsprechend, als extremer Gegensatz zu den hochpolierten Flächen, bricht sie häufig Stücke aus einem Stein heraus, die dann roh, unbearbeitet stehen bleiben. Die Sprödigkeit und Ursprünglichkeit des Materials tritt in Kontrast zur technischen Perfektion. Dies wird auch in der Konzentration der Steinskulpturen auf einen kleinen Berührungspunkt mit dem Sockel deutlich - eine Eigenschaft, die fast schon ein Markenzeichen der Künstlerin geworden ist. Nur minimal mit dem Sockel verbunden, lassen sich die schweren Steinskulpturen leicht um ihre vertikale Achse drehen. Die Konzentration und die Drehbarkeit des Steins entmaterialisieren ihn in gewisser Weise, nehmen ihm die unbewegliche Schwere. Auch der Gegensatz von wahrgenommenem und tatsächlichem Schwerpunkt verleihen ihren Arbeiten häufig eine außerordentliche optische Labilität. Ist es insbesondere der kinetische Charakter der Arbeiten, der den Betrachter zum Erfühlen und Ertasten verleitet, so sind es die Rundungen, die die Steine zu sinnlich-leiblich Erfahrungen machen.
Augenscheinlich wird dies auch an der hochpolierten Oberfläche des jeweiligen Steins, die Lichtreflexe hervorruft und damit den Stein lebendig bewegt erscheinen läßt, während Brüche, Kanten und matte Flächen, die Oberfläche und das Volumen erkennen lassen.
In der Verwendung von starkfarbigem und in der Maserung belebtem Marmor, Granit und anderen Steinsorten begibt sich Ehmann auf ein Gebiet, das nur selten von Bildhauern beschritten wird. Gilt doch gemeinhin, daß farbig belebte Steine nur einfache Formen mit starken Kontrasten zulassen. So ist für jeden von uns die gewohnte kanonische Vorstellung der edlen, weißen, antiken Marmorplastik bezeichnend, die zur tatsächlich ausgesprochen bunten Antike, mit starkfarbig bemalten Plastiken und besonders in der römischen Antike verwendeten farbigen Steinen, in krassem Gegensatz steht.
Sehen beispielsweise Karl Prantl oder Herbert Baumann in den unbunten Steinen eine Übereinstimmung von meditativer Haltung und bildhauerischem Arbeiten, wählt hingegen Ehman die herausfordernden stark gemaserten Steinsorten, die ihrer Auseinandersetzung mit dem Material entgegenkommen. Ist für Prantl und Baumann der Stein auch eine spirituelle Erfahrung, so unterscheidet sich Ehmann in der lustvollen Bearbeitung des Materials und in der Verwendung von maschinellen Hilfsmitteln, deren Spuren sie im Stein sichtbar stehen läßt. Für sie ist die Arbeit am Stein weniger religiöse Erfahrung, denn Herausforderung. Und so bleiben Bohrungsspuren und die Rillen einer Trennscheibe deutlich sichtbar. Ein Bruch mit der traditionellen Vorstellung, Bildhauer würden historisierend den Arbeitsweisen einer gotischen Dombauhütte folgen.
So versucht sie auch nicht, Natur und Steinskulptur in Einklang zu bringen, sondern sie löst sie durch einen neutralen Sockel heraus, der die Arbeit als rein "ästhetisches" Objekt kennzeichnet. Aus der Umgebung herausgelöst, als rein "ästhetisches" Objekt, das nur noch mit dem Betrachter eine Zwiesprache unterhält, ähneln die Skulpturen den Philosophensteinen der Asiaten. Dennoch bleiben Ihre Steine vorwiegend sinnliche Objekte, deren Beschränkung auf meditative Betrachtung undenkbar ist. Mechthild Ehmanns Steine sind vor allem sichtbar - und fühlbar sinnlich, vielmehr seinsverbunden, als meditativ, einer barocken, körperhaften Kunstauffassung zugewendet.
Könnte man Mechthild Ehmanns Skulpturen mit dem Wort Brechungen charakterisieren, wäre die Risszeichnung wohl die adäquateste Umschreibung der Werke von Helmut Stromsky. In ihrer scheinbaren Kargheit sind seine Arbeiten einer sinnlich barocken Formauffassung entgegengesetzt.
Aus der Beschränkung seiner Mittel und der hohen Materialkenntnis, bildet er seine Werke. So wird im plastischen Werk das Material seiner Charakteristik entsprechend geformt. Der Stahl bleibt bei ihm blank, kann aber seiner elastischen Eigenschaft entsprechend, oftmals durchgebogen, unter Spannung stehen. Dagegen verbindet sich natürliches Material, wie Holzstangen, mit der natürlichen Umgebung, während der industrielle Stahl in Kontrast zur Natur steht. Materialgerechtigkeit besitzt bei ihm somit einen hohen Stellenwert.
In der Kargheit und der Erforschung künstlerischer Mittel steht er in der langen Tradition der Konkreten Kunst - der seinen Plastiken oft innewohnende Charakter einer Installation ist jedoch ebenso wenig zu übersehen wie die Affinitäten zur Minimal Art. Doch gerade die Materialität interessiert Stromsky, beispielsweise wie sich Metalle verhalten, wie sie auf verschiedene Art bearbeitet, wirken: sei es unter hohem Druck gestaucht, wie es spröde bricht, sich elastisch biegt, dessen Oberfläche entmaterialisiert glänzt oder von Rostpatina strukturiert wird. Immer wieder ist es ein Erforschen der im Material verborgenen künstlerischen Möglichkeiten. Die Zeitverläufe - die Mühe und Geduld mit denen das gestalterische Ziel beharrlich verfolgt wird, läßt er gerne sichtbar werden - sei es der dem polierten Bronze Objekt zugehörige Stapel von Polierwatten oder eine Vielzahl in der Erde verankerter Metallstäbe. Es gibt bei ihm also kein übergeordnetes Motiv, wie beispielsweise die Figur oder Raumverhältnisse, sondern das Material selbst mit seinen Eigenschaften und Möglichkeiten ist sein Thema.
Gleiches gilt auch für seine Papierarbeiten. Hier setzt er zwei gestalterische Prinzipien gegeneinander, die Zeichnung mit Graphit, gegen die gerissene Linie im Karton, die in ihrem Reliefcharakter bildhauerischen Techniken näher steht.
Daher sind die Arbeiten weniger als Zeichnungen zu betrachten, sondern widmen sich Materialverhältnissen, beispielsweise dem von schwarzem Graphit zu weißem Karton.
Keine Farbe, keine Handzeichnung wird sichtbar, mit dem Lineal werden Strukturen erzeugt, nicht mechanisch wiederholt, vielmehr bewusst gesetzt. Der Künstler beschränkt die Ausdrucksmittel, indem er sich fast ausschließlich auf die knappste zeichnerische Form beschränkt, die Linie. Die Graphitlinie wird gegen die Reißlinie gesetzt.
Der Charakter dieser Linien wird im Vergleich mit den beiden graphischen Techniken der Kaltnadelradierung und dem Linol- bzw. Holzschnitt deutlich. Denn anders als bei der Kaltnadelradierung, in der das Metall durch den Druck der harten Stahlnadel auf die weiche Metallplatte verdrängt wird, reist Stromsky Linien in den Karton und anders als beim Holzschnitt wird kein Material entfernt, so daß keine bereitflächige Reliefartige Schichtung entsteht. Direkt wird das Ergebnis dieses Vorgangs sichtbar. In einem weiteren Schritt, färbt Stromsky mit Graphitlinien sozusagen die Oberfläche. So entsteht ein erstes Netz von Linien. In den weiteren Arbeitsgängen vermischen sich die Oberfläche mit den Graphitlinien und das von den Reisslinien mitgenommene, angerissene Graphit. Moiré-Effekte, wie beispielsweise bei Soto oder Wilding sind zu beobachten, doch ändern sie sich nicht durch den Standpunkt oder Bewegung und unterscheiden sich hierin von diesen Vertretern der Op-Art.
Doch obwohl das Lineal für eine beinahe mechanische Präzision der Linienführung steht, folgt sie dem individuellen Druck der Hand auf den Graphitstift oder der Reissnadel. So nutzt sich der Graphitstift unterschiedlich schnell ab - sicht bar am breiter werdenden Graphitstrich oder an der Stahlnadel, die sich unterschiedlich tief eingräbt. Daraus entstehen kalkulierte Unregelmäßigkeiten. Nur eine minimale Winkelabweichung, eine unterschiedliche Geschwindigkeit beim Reissen oder Malen, eine - und sei sie noch so kleine - Veränderung in der Breite des Graphitstriches bewirkt individuelle Interferenzen im Bild. Diese werden von Stromsky jedoch bewusst kalkuliert, werden für den Betrachter zu seismischen Ausschlägen, die in ihrem zeitlichen nachvollziehbaren Verlauf den Blick bannen. In der mehrschichtigen Überlagerung und Abfolge entstehen räumlich illusionistische Liniengeflechte, die in Konkurrenz zum Relief der gerissenen Linien treten. Nur die Präzision, die Formgruppen - z.B. Keilformen - entstehen lässt, führt tatsächliches und illusionistisches Relief wieder zueinander.
Andere Arbeiten legen diesen Prozess der Verwandlung von Linien in Vibrationen offen, indem der Karton, in Abschnitte geteilt, jeden hinzutretenden Vorgang nachvollziehbar additiv hinzufügt. In den vom Graphit gänzlich weißen oder schwarzen Arbeiten tritt der Aspekt der Geschwindigkeit zurück. Der Charakter des Reliefs wird deutlicher. Die Papierarbeit neigt sich darin wieder den bildhauerisch - plastischen Aspekt zu.
In jüngeren Arbeiten gewinnt die Zeichnung des Graphitstiftes dann wieder eine neue Bedeutung, tritt in Kontrast zu den Reliefstrukturen. Die Bewegung des Striches bleibt in den monochromen, d.h. den vollständig mit Graphit bearbeiteten Arbeiten deutlich sichtbar, nimmt teilweise dramatische bewegte Formen an.
Diesen stellen sich die Reliefstrukturen der gerissenen Linienfelder entgegen. Gleichzeitig erzeugen sie Reflektionsflächen, die mehr Licht zurückwerfen als es eine rein weiße Fläche vermag. In letzter Konsequenz ersetzen sie das Eigenlicht, das in der religiösen Kunst durch Goldgrund und polierte Flächen erzeugt wurde. Und so muß es nicht verwundern, dass die aktuellen Arbeiten vom Künstler vergoldet wurden und der Künstler hiermit den Versuch unternimmt, dessen materielle Eigenschaften - ganz wörtlich - neu zu beleuchten.
Hiermit möchte ich nun schließen und mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit herzlich bedanken. Ich wünsche ihnen noch viel Vergnügen beim Betrachten und Vergleichen dieser Ausstellung und den hier aufgeworfenen künstlerischen Positionen.


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